§
1 Selbstbestimmung
und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft
Behinderte
oder von Behinderung bedrohte Menschen erhalten
Leistungen nach diesem Buch und den für die
Rehabilitationsträger geltenden
Leistungsgesetzen, um ihre Selbstbestimmung und
gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der
Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu
vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken. Dabei wird
den besonderen Bedürfnissen behinderter und von
Behinderung bedrohter Frauen und Kinder Rechnung
getragen.
§
2 Behinderung
Menschen
sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion,
geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit
hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate
von dem für das Lebensalter typischen Zustand
abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der
Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von
Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu
erwarten ist.
Menschen
sind im Sinne des Teils 2 schwerbehindert, wenn
bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens
50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen
Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem
Arbeitsplatz im Sinne des § 73 rechtmäßig im
Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
Schwerbehinderten
Menschen gleichgestellt werden sollen behinderte
Menschen mit einem Grad der Behinderung von
weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die
übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen,
wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die
Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im
Sinne des § 73 nicht erlangen oder nicht behalten
können (gleichgestellte behinderte Menschen).
§
3 Vorrang
von Prävention
Die
Rehabilitationsträger wirken darauf hin, dass der
Eintritt einer Behinderung einschließlich einer
chronischen Krankheit vermieden wird.
§
4 Leistungen
zur Teilhabe
Die
Leistungen zur Teilhabe umfassen die notwendigen
Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache
der Behinderung
1.
die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu
mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder
ihre Folgen zu mildern,
2.
Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit oder
Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden,
zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten
sowie den vorzeitigen Bezug anderer
Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende
Sozialleistungen zu mindern,
3.
die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den
Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern
oder
4.
die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern
und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft
sowie eine möglichst selbständige und
selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen
oder zu erleichtern.
Die
Leistungen zur Teilhabe werden zur Erreichung der
in Absatz 1 genannten Ziele nach Maßgabe dieses
Buches und der für die zuständigen Leistungsträger
geltenden besonderen Vorschriften neben anderen
Sozialleistungen erbracht. Die Leistungsträger
erbringen die Leistungen im Rahmen der für sie
geltenden Rechtsvorschriften nach Lage des
Einzelfalls so vollständig, umfassend und in
gleicher Qualität, dass Leistungen eines anderen
Trägers möglichst nicht erforderlich werden.
Leistungen
für behinderte oder von Behinderung bedrohte
Kinder werden so geplant und gestaltet, dass nach
Möglichkeit Kinder nicht von ihrem sozialen
Umfeld getrennt und gemeinsam mit nicht
behinderten Kindern betreut werden können. Dabei
werden behinderte Kinder alters- und
entwicklungsentsprechend an der Planung und
Ausgestaltung der einzelnen Hilfen beteiligt und
ihre Sorgeberechtigten intensiv in Planung und
Gestaltung der Hilfen einbezogen.
§
5 Leistungsgruppen
Zur
Teilhabe werden erbracht
1.
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation,
2.
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben,
3.
unterhaltssichernde und andere ergänzende
Leistungen,
4.
Leistungen zur Teilhabe am Leben in der
Gemeinschaft.
§
6 Rehabilitationsträger
Träger
der Leistungen zur Teilhabe (Rehabilitationsträger)
können sein
1.
die gesetzlichen Krankenkassen für Leistungen
nach § 5 Nr. 1 und 3,
2.
die Bundesagentur für Arbeit für Leistungen nach
§ 5 Nr. 2 und 3,
3.
die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung für
Leistungen nach § 5 Nr. 1 bis 4,
4.
die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung für
Leistungen nach § 5 Nr. 1 bis 3, die Träger der
Alterssicherung der Landwirte für Leistungen nach
§ 5 Nr. 1 und 3,
5.
die Träger der Kriegsopferversorgung und die Träger
der Kriegsopferfürsorge im Rahmen des Rechts der
sozialen Entschädigung bei Gesundheitsschäden für
Leistungen nach § 5 Nr. 1 bis 4,
6.
die Träger der öffentlichen Jugendhilfe für
Leistungen nach § 5 Nr. 1, 2 und 4,
7.
die Träger der Sozialhilfe für Leistungen nach
§ 5 Nr. 1, 2 und 4.
(2)
Die Rehabilitationsträger nehmen ihre Aufgaben
selbständig und eigenverantwortlich wahr.
…
§
8 Vorrang
von Leistungen zur Teilhabe
Werden
bei einem Rehabilitationsträger Sozialleistungen
wegen oder unter Berücksichtigung einer
Behinderung oder einer drohenden Behinderung
beantragt oder erbracht, prüft dieser unabhängig
von der Entscheidung über diese Leistungen, ob
Leistungen zur Teilhabe voraussichtlich
erfolgreich sind.
Leistungen
zur Teilhabe haben Vorrang vor Rentenleistungen,
die bei erfolgreichen Leistungen zur Teilhabe
nicht oder voraussichtlich erst zu einem späteren
Zeitpunkt zu erbringen wären. Dies gilt während
des Bezuges einer Rente entsprechend.
Absatz
1 ist auch anzuwenden, um durch Leistungen zur
Teilhabe Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden,
zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten.
§
9 Wunsch-
und Wahlrecht der Leistungsberechtigten
Bei
der Entscheidung über die Leistungen und bei der
Ausführung der Leistungen zur Teilhabe wird
berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten
entsprochen. Dabei wird auch auf die persönliche
Lebenssituation, das Alter, das Geschlecht, die
Familie sowie die religiösen und
weltanschaulichen Bedürfnisse der
Leistungsberechtigten Rücksicht genommen; im Übrigen
gilt § 33 des Ersten Buches. Den besonderen Bedürfnissen
behinderter Mütter und Väter bei der Erfüllung
ihres Erziehungsauftrages sowie den besonderen Bedürfnissen
behinderter Kinder wird Rechnung getragen.
Sachleistungen
zur Teilhabe, die nicht in
Rehabilitationseinrichtungen auszuführen sind, können
auf Antrag der Leistungsberechtigten als
Geldleistungen erbracht werden, wenn die
Leistungen hierdurch voraussichtlich bei gleicher
Wirksamkeit wirtschaftlich zumindest gleichwertig
ausgeführt werden können. 2Für
die Beurteilung der Wirksamkeit stellen die
Leistungsberechtigten dem Rehabilitationsträger
geeignete Unterlagen zur Verfügung. Der
Rehabilitationsträger begründet durch Bescheid,
wenn er den Wünschen des Leistungsberechtigten
nach den Absätzen 1 und 2 nicht entspricht.
Leistungen,
Dienste und Einrichtungen lassen den
Leistungsberechtigten möglichst viel Raum zu
eigenverantwortlicher Gestaltung ihrer Lebensumstände
und fördern ihre Selbstbestimmung.
Die
Leistungen zur Teilhabe bedürfen der Zustimmung
der Leistungsberechtigten.
…
§
15 Erstattung
selbstbeschaffter Leistungen
Kann
über den Antrag auf Leistungen zur Teilhabe nicht
innerhalb der in § 14 Abs. 2 genannten Fristen
entschieden werden, teilt der Rehabilitationsträger
dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der
Gründe rechtzeitig mit. Erfolgt die Mitteilung
nicht oder liegt ein zureichender Grund nicht vor,
können Leistungsberechtigte dem Rehabilitationsträger
eine angemessene Frist setzen und dabei erklären,
dass sie sich nach Ablauf der Frist die
erforderliche Leistung selbst beschaffen.
Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf
der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist
der zuständige Rehabilitationsträger unter
Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit
und Sparsamkeit zur Erstattung der Aufwendungen
verpflichtet. Die Erstattungspflicht besteht auch,
wenn der Rehabilitationsträger eine
unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig
erbringen kann oder er eine Leistung zu Unrecht
abgelehnt hat. Die Sätze 1 bis 3 gelten nicht für
die Träger der Sozialhilfe, der öffentlichen
Jugendhilfe und der Kriegsopferfürsorge.
…
§
26 Leistungen
zur medizinischen Rehabilitation
Zur
medizinischen Rehabilitation behinderter und von
Behinderung bedrohter Menschen werden die
erforderlichen Leistungen erbracht, um
1.
Behinderungen einschließlich chronischer
Krankheiten abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern,
auszugleichen, eine Verschlimmerung zu verhüten
oder
2.
Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit und
Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden,
zu mindern, eine Verschlimmerung zu verhüten
sowie den vorzeitigen Bezug von laufenden
Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende
Sozialleistungen zu mindern.
Leistungen
zur medizinischen Rehabilitation umfassen
insbesondere
1.
Behandlung durch Ärzte, Zahnärzte und Angehörige
anderer Heilberufe, soweit deren Leistungen unter
ärztlicher Aufsicht oder auf ärztliche Anordnung
ausgeführt werden, einschließlich der Anleitung,
eigene Heilungskräfte zu entwickeln,
2.
Früherkennung und Frühförderung behinderter und
von Behinderung bedrohter Kinder,
3.
Arznei- und Verbandmittel,
4.
Heilmittel einschließlich physikalischer, Sprach-
und Beschäftigungstherapie,
5.
Psychotherapie als ärztliche und
psychotherapeutische Behandlung,
6.
Hilfsmittel,
7.
Belastungserprobung und Arbeitstherapie.
Bestandteil
der Leistungen nach Absatz 1 sind auch
medizinische, psychologische und pädagogische
Hilfen, soweit diese Leistungen im Einzelfall
erforderlich sind, um die in Absatz 1 genannten
Ziele zu erreichen oder zu sichern und
Krankheitsfolgen zu vermeiden, zu überwinden, zu
mindern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten,
insbesondere
1.
Hilfen zur Unterstützung bei der Krankheits- und
Behinderungsverarbeitung,
2.
Aktivierung von Selbsthilfepotentialen,
3.
mit Zustimmung der Leistungsberechtigten
Information und Beratung von Partnern und Angehörigen
sowie von Vorgesetzten und Kollegen,
4.
Vermittlung von Kontakten zu örtlichen
Selbsthilfe- und Beratungsmöglichkeiten,
5.
Hilfen zur seelischen Stabilisierung und zur Förderung
der sozialen Kompetenz, unter anderem durch
Training sozialer und kommunikativer Fähigkeiten
und im Umgang mit Krisensituationen,
6.
Training lebenspraktischer Fähigkeiten,
7.
Anleitung und Motivation zur Inanspruchnahme von
Leistungen der medizinischen Rehabilitation.
…
§
30 Früherkennung
und Frühförderung
Die
medizinischen Leistungen zur Früherkennung und Frühförderung
behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder
nach § 26 Abs. 2 Nr. 2 umfassen auch
1.
die medizinischen Leistungen der mit dieser
Zielsetzung fachübergreifend arbeitenden Dienste
und Einrichtungen,
2.
nichtärztliche sozialpädiatrische,
psychologische, heilpädagogische, psychosoziale
Leistungen und die Beratung der
Erziehungsberechtigten, auch in fachübergreifend
arbeitenden Diensten und Einrichtungen, wenn sie
unter ärztlicher Verantwortung erbracht werden
und erforderlich sind, um eine drohende oder
bereits eingetretene Behinderung zum frühestmöglichen
Zeitpunkt zu erkennen und einen individuellen
Behandlungsplan aufzustellen.
Leistungen
nach Satz 1 werden als Komplexleistung in
Verbindung mit heilpädagogischen Leistungen (§
56) erbracht.
Leistungen
zur Früherkennung und Frühförderung behinderter
und von Behinderung bedrohter Kinder umfassen des
Weiteren nichtärztliche therapeutische,
psychologische, heilpädagogische, sonderpädagogische,
psychosoziale Leistungen und die Beratung der
Erziehungsberechtigten durch interdisziplinäre Frühförderstellen,
wenn sie erforderlich sind, um eine drohende oder
bereits eingetretene Behinderung zum frühestmöglichen
Zeitpunkt zu erkennen oder die Behinderung durch
gezielte Förder- und Behandlungsmaßnahmen
auszugleichen oder zu mildern.
Zur
Abgrenzung der in den Absätzen 1 und 2 genannten
Leistungen und der sonstigen Leistungen dieser
Dienste und Einrichtungen, zur Übernahme oder
Teilung der Kosten zwischen den beteiligten
Rehabilitationsträgern, zur Vereinbarung und
Abrechnung der Entgelte sowie zur Finanzierung
werden gemeinsame Empfehlungen vereinbart; § 13
Abs. 3, 4 und 6 gilt entsprechend. Landesrecht
kann vorsehen, dass an der Komplexleistung weitere
Stellen, insbesondere die Kultusverwaltung, zu
beteiligen sind. In diesem Fall ist eine
Erweiterung der gemeinsamen Empfehlungen
anzustreben.
…
§
55 Leistungen
zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft
Als
Leistungen zur Teilhabe am Leben in der
Gemeinschaft werden die Leistungen erbracht, die
den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in
der Gesellschaft ermöglichen oder sichern oder
sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege
machen und nach den Kapiteln 4 bis 6 nicht
erbracht werden.
Leistungen
nach Absatz 1 sind insbesondere
1.
Versorgung mit anderen als den in § 31 genannten
Hilfsmitteln oder den in § 33 genannten Hilfen,
2.
heilpädagogische Leistungen für Kinder, die noch
nicht eingeschult sind,
3.
Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten,
die erforderlich und geeignet sind, behinderten
Menschen die für sie erreichbare Teilnahme am
Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen,
4.
Hilfen zur Förderung der Verständigung mit der
Umwelt,
5.
Hilfen bei der Beschaffung, dem Umbau, der
Ausstattung und der Erhaltung einer Wohnung, die
den besonderen Bedürfnissen der behinderten
Menschen entspricht,
6.
Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten
Wohnmöglichkeiten,
7.
Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und
kulturellen Leben.
§
56 Heilpädagogische
Leistungen
Heilpädagogische
Leistungen nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 werden
erbracht, wenn nach fachlicher Erkenntnis zu
erwarten ist, dass hierdurch
1.
eine drohende Behinderung abgewendet oder der
fortschreitende Verlauf einer Behinderung
verlangsamt oder
2.
die Folgen einer Behinderung beseitigt oder
gemildert
werden
können. 2Sie
werden immer an schwerstbehinderte und
schwerstmehrfachbehinderte Kinder, die noch nicht
eingeschult sind, erbracht.
In
Verbindung mit Leistungen zur Früherkennung und
Frühförderung (§ 30) und schulvorbereitenden Maßnahmen
der Schulträger werden heilpädagogische
Leistungen als Komplexleistung erbracht.
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